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Humanitäre Bedenken angesichts Tunesiens

26
July
2024

Ein Jahr nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen Tunesien und der Europäischen Union gibt es ernsthafte Bedenken hinsichtlich der offiziellen neuen tunesischen Such- und Rettungsregion (TSRR) im Mittelmeer, die im Juni 2024 formalisiert wurde.

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Humanitäre Bedenken angesichts Tunesiens

26
July
2024

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Ein Jahr nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen Tunesien und der Europäischen Union gibt es ernsthafte Bedenken hinsichtlich der offiziellen neuen tunesischen Such- und Rettungsregion (TSRR) im Mittelmeer, die im Juni 2024 formalisiert wurde.

Berlin, 26. Juli, 2024 – Ein Jahr nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen Tunesien und der Europäischen Union gibt es ernsthafte Bedenken hinsichtlich der offiziellen neuen tunesischen Such- und Rettungsregion (TSRR) im Mittelmeer, die im Juni 2024 formalisiert wurde [1]. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) definiert eine Such- und Rettungsregion (SRR) als „ein Gebiet mit klaren Dimensionen. Es wird von einer Rettungsleitstelle verwaltet und Such- und Rettungsdienste werden bereitgestellt“. Das bedeutet, dass der für das jeweilige Gebiet zuständige Staat für die Koordinierung der Such- und Rettungsaktivitäten zwischen den verschiedenen Akteur*innen, die in internationalen Gewässern tätig sind, verantwortlich ist. Zu diesen Akteur*innen gehören auch Nichtregierungsorganisationen. SOS MEDITERRANEE befürchtet insbesondere, dass die Ausweitung der tunesischen SRR dazu führen könnte, dass mehr Schiffbrüchige aufgegriffen und von der tunesischen Küstenwache nach Tunesien zurückgebracht werden. Tunesien ist kein sicherer Ort.

„Eine Menschenjagd“: Institutionalisierter Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Land

Diese Entscheidung fällt in eine Zeit, in der Berichte von internationalen Menschenrechtsorganisationen und der lokalen Presse eine fortschreitende Verschlechterung der bürgerlichen Freiheiten und Rechte in Tunesien sowohl für Migrant*innen als auch für Einheimische beschreiben. Schwarze Migrant*innen werden seit letztem Jahr besonders von der tunesischen Regierung ins Visier genommen: Im Februar 2023 behauptete Präsident Saied, „Horden illegaler Einwanderer“ in Tunesien seien Teil eines „kriminellen Plans“, um „die demografische Zusammensetzung“ zu verändern und sich von der „arabisch-islamischen Zugehörigkeit“ zu lösen. Seit dieser Ankündigung hat die Zahl der freiwilligen Rückkehranträge deutlich zugenommen, ebenso wie die Zahl der Abfahrten auf See.    

Körperliche Gewalt, Diebstahl, Diskriminierung, Zwangsumsiedlung in die Wüste, willkürliche Verhaftung und Gefährdung auf See können als Misshandlungen und Folter bezeichnet werden. Insbesondere Schwarze Migrant*innen, die in Tunesien unterwegs sind, haben nur sehr eingeschränkten Zugang zu ihren Grundfreiheiten und sind regelmäßig Verfolgungen ausgesetzt, die von einer Welle der Fremdenfeindlichkeit und institutionalisierten Diskriminierung begleitet werden. Idrissou*, ein junger Mann aus Benin, der letztes Jahr im August von den Teams der Ocean Viking gerettet wurde, beschrieb eine regelrechte „Menschenjagd“ in Tunesien auf Schwarze Migrant*innen, die ihn schließlich dazu zwang, das Land zu verlassen.  

Erst kürzlich, am Freitag, den 3. Mai 2024, vertrieben tunesische Sicherheitskräfte vor Tagesanbruch Hunderte von Migrant*innen und Geflüchteten, darunter Kinder, schwangere Frauen und beim UNHCR registrierte Asylbewerber*innen, die in einem öffentlichen Park in der Nähe der Büros der IOM und des UNHCR in Tunis kampierten. Sie setzten Tränengas, Elektroschocks, Schlagstöcke und Tritte gegen die Menschen ein, auch gegen Kinder. Drei Tage später wies Präsident Saied in seiner Rede vor dem nationalen Sicherheitsrat darauf hin, dass tunesische Sicherheitskräfte 400 Personen in einer offensichtlich rechtswidrigen kollektiven Abschiebung gewaltsam an die libysche Grenze zurückgebracht hatten.  

“ Wir sahen Leichen im Wasser treiben“: Gewalttätiges und gefährliches Verhalten der tunesischen Küstenwache auf See

Gleichzeitig wird von gewalttätigem und aggressivem Verhalten der tunesischen Küstenwache, vor allem der Nationalgarde, berichtet. Sie gefährdet damit das Leben von Migrant*innen auf See. Ein aktueller Bericht, der im Juni 2024 von Alarm Phone erstellt wurde, dokumentiert die illegalen und gewalttätigen Praktiken der tunesischen Nationalgarde im zentralen Mittelmeer.  

Mehrere Migrant*innen, Geflüchtete und tunesische Staatsangehörige, die von zivilen Such- und Rettungsorganisationen auf See gerettet wurden, prangerten die Misshandlungen und die Gewalt an, denen sie im Rahmen von Abfangaktionen durch die tunesische Küstenwache ausgesetzt waren. Außerdem kritisierten sie das Fehlen eines klaren Rettungskonzepts für Boote in Seenot.  Einige Überlebende, die im August 2023 von den Teams der Ocean Viking gerettet wurden, berichteten unserer Besatzung, dass sie Zeug*innen von Bootsunglücken wurden. Sie hatten sowohl in Strandnähe als auch während der Fahrt Leichen im Wasser treiben sehen und erzählten, dass sie Fische sahen, die diese Leichen fraßen. Andere berichteten, dass sie von der tunesischen Küstenwache abgefangen wurden. Einige erzählten zudem, dass sich ihnen während er Überfahrt Fischer näherten, die gefährliche Manöver durchführten, um den Motor des Bootes zu stehlen, auf dem die Überlebenden zu fliehen versuchten.

Risiken und Bedenken hinsichtlich der Einrichtung einer tunesischen Such- und Rettungsregion  

Mit der offiziellen Anerkennung einer tunesischen Such- und Rettungsregion wird der geografische Zuständigkeitsbereich der tunesischen Küstenwache erweitert, sodass sie in einem größeren Seegebiet als bisher tätig werden kann. Bemerkenswerterweise geht die neu eingerichtete TSRR über die Grenzen der zuvor unbestimmten Region hinaus: Sie überschneidet sich mit Teilen der maltesischen und libyschen SRR und reicht bis an die Grenzen der italienischen SRR.  

Es ist daher zu erwarten, dass die tunesische Küstenwache nun in Gebieten der tunesischen Route operieren wird, die bisher unter die Zuständigkeit der italienischen Behörden fielen.

„Wir befürchten, dass die Ausweitung der tunesischen SRR dazu führen könnte, dass mehr Schiffbrüchige aufgegriffen werden, und von der tunesischen Küstenwache nach Tunesien zurückgebracht werden, obwohl Tunesien kein sicherer Ort ist“ , erklärt Soazic Dupuy, Einsatzleiterin von SOS MEDITERRANEE.
„Die Überschneidung der SRR könnte auch die Koordinierung zwischen den verschiedenen Küstenstaaten erschweren, was zu einer noch geringeren Reaktionsfähigkeit bei Seenotfällen führen würde.“  

Das Vertreiben und Aussetzen von Migrant*innen in der Wüste, sowie die zunehmenden Abfangmaßnahmen auf See verdeutlichen die Missachtung des in den internationalen Menschenrechtsnormen verankerten Grundsatzes der Nichtzurückweisung [2], Dieser Grundsatz gilt für alle Formen der Ausweisung, unabhängig von der Nationalität oder dem Migrationsstatus.  

In Tunesien stellt die illegale Ausreise aus dem Land eine Straftat dar. Dies steht im klaren Widerspruch zum Recht, im Falle von Verfolgung Asyl zu beantragen. Das Gesetz kriminalisiert tunesische Staatsangehörige, die im Ausland Asyl suchen, wenn sie in ihr Land zurückkehren.  

Die rechtliche Analyse kann hier nachgelesen werden: S0S MEDITERRANEE Juli-2024Tunesien-ist-kein-sicherer-Ort-Rechtliche-Analyse.pdf

Charles Thiefaine / SOS MEDITERRANEE

Die Namen wurden geändert, um die Privatsphäre der Geretteten zu schützen.

Titelbild: Claire Juchat / SOS MEDITERRANEE

Fußnoten:

[1] Die tunesische Such- und Rettungsregion ist nun offiziell anerkannt und wurde in den globalen SAR-Plan der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO) aufgenommen. In diesem Plan sind alle weltweit verfügbaren SAR-Dienste aufgeführt.

[2] Im globalen Kontext ein Kernprinzip internationaler Flüchtlings- und Menschenrechtskonventionen, das es den Staaten verbietet, Personen in ein Land zurückzuschicken, in dem die tatsächliche Gefahr besteht, dass sie Verfolgung, Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder einer anderen Menschenrechtsverletzung ausgesetzt werden.

Im Fluchtkontext ein Kernprinzip des internationalen Flüchtlingsrechts, das es den Staaten verbietet, Flüchtlinge in irgendeiner Weise in Länder oder Gebiete zurückzuschicken, in denen ihr Leben oder ihre Freiheit aufgrund ihrer Ethnie, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Meinung bedroht sein könnte.  

Quelle: European Commission

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