UNSER EINSATZ
RETTUNGSEINSÄTZE IM MITTELMEER
Menschen auf dem Meer zu retten ist unsere Mission. Seit 2016 ist SOS MEDITERRANEE an vorderster Front der zivilen Seenotrettung tätig. Mit unseren Schiffen Aquarius (2016-2018) und Ocean Viking (seit Juli 2019) sind wir mit erfahrenen Rettungs- und medizinischen Teams auf dem zentralen Mittelmeer unterwegs. Tausende von Menschen fliehen auf gefährlichen, seeuntüchtigen Booten nach Europa. Sie sind auf der Flucht vor schwersten Menschenrechtsverletzungen. Seit Beginn unserer Arbeit haben wir über 41.000 Menschen aus Seenot gerettet.
DILEMMA ZWISCHEN GESETZ UND MENSCHENRECHTEN
Eine Kurzanimation, entstanden in Zusammenarbeit mit SOS MEDITERRANEE Schweiz und der Zürcher Hochschule der Künste – Fachbereich Knowledge Visualization, erschließt der Öffentlichkeit ein Thema, das vielen unbekannt ist. Sie regt die Zuschauer*innen dazu an, darüber nachzudenken, dass NGOs, die sich der Rettung von Menschenleben verschrieben haben, stets riskieren, für ihre Arbeit bestraft zu werden.
EINSATZGEBIET IN INTERNATIONALEN GEWÄSSERN
Das Einsatzgebiet unseres Rettungsschiffs, der Ocean Viking, befindet sich im zentralen Mittelmeer, der weltweit tödlichsten Migrationsroute.
Die zentrale Mittelmeerroute zieht sich von Nordafrika - vor allem Libyen, aber auch Tunesien und Algerien - bis nach Italien. Dabei sind wir hauptsächlich in der libyschen und tunesischen Such- und Rettungsregion (SRR) aktiv. Maritime Abkommen unterteilen die Gewässer in verschiedene SRR mit jeweils unterschiedlichen rechtlichen Zuständigkeitsbereichen. In einem Bereich von ca. 12 Seemeilen (ca. 22 km) vor der Küste befinden sich die Hoheitsgewässer des entsprechenden Küstenstaates über die er die absolute Hoheit innehat. Die Ocean Viking operiert zum Beispiel niemals in libyschen Hoheitsgewässern.
Ausserhalb dieser 12 Seemeilen befinden sich internationale Gewässer, in denen sich jedes Schiff frei fortbewegen kann. Die Ocean Viking führt ihre Patrouillen etwa 50 Kilometer vor der libyschen Küste durch, wo die meisten Boote in Seenot entdeckt werden.
INTERAKTIVE KARTE
Um herauszufinden, wo und wann eine Rettung der Aquarius oder der Ocean Viking stattgefunden hat, wieviele Frauen und Kinder an Bord waren oder um einen Überblick über die Entwicklung der Rettungseinsatzorte seit 2016 zu erhalten, gibt es hier die interaktive Karte, die von CartONG* für SOS MEDITERRANEE entwickelt wurde.
SEENOTRETTUNGS-LEITSTELLEN
Für die Koordinierung von Such- und Rettungseinsätzen sind die nationalen Seenotrettungsleitstellen - Maritime Rescue Coordination Center (MRCC) - zuständig. Jede Such und Rettungsregion hat ein zuständiges (M)RCC.
MRCC Italy
Italien ist aktuell der einzige Staat, der einen sicheren Hafen zuweist. Seit Januar 2023 werden weit entfernte Häfen nach jeder Rettung zugewiesen - die verringert die ohnehin schon geringe Kapazität an Rettungsschiffen im Einsatzgebiet weiter.
MRCC Malta
Malta hat sich im Jahr 2021 aus der Koordinierung der zivilen Seenotrettung zurückgezogen und kommt seiner Pflicht seitdem nicht mehr nach. Obwohl wir das MRCC Malta bei jedem Seenotfall in der maltesischen Such- und Rettungsregion weiterhin ordnungsgemäß kontaktieren, bekommen wir meist keine Antwort.
RCC Tripoli
Die libysche Seenotrettungsleitstelle ist aus folgenden Gründen nicht in der Lage, ihre Verantwortung für die Koordination von Rettungsmaßnahmen nach geltendem internationalem Seerecht zu erfüllen, da sie:
1. Anfragen ignoriert: Notrufe von Booten in Seenot nicht an Schiffe in der Nähe weiterleitet, welche Hilfe leisten könnten.
2. keinen sicheren Hafen als sicheren Ort zur Anlandung benennen kann, da Libyen gemäß maritimer Rechtsdefinition nicht als sicherer Ort anerkannt werden kann.
MRCC Tunis
Seit der Formalisierung der neuen tunesischen Such- und Rettungsregion im Juni 2024 ist das MRCC Tunis in diesem Gebiet für die Koordinierung von Rettungen zuständig. Auf Basis von Berichten internationaler Organisationen, von Geretteten an Bord der Ocean Viking, sowie von Menschenrechtsbeobachter*innen legt dieses Positionspapier ausführlich dar, warum Tunesien nicht die rechtlichen Anforderungen eines sicheren Ortes erfüllt. Überlebende können nicht in Tunesien angelandet werden.
TRANSPARENZ UNSERER EINSÄTZE
Einen genauen Einblick in die Handlungen der Ocean Viking, unsere Kommunikation mit den offiziellen Stellen und die Rettungseinsätze werden schnellstmöglich im Logbuch (engl.) eingetragen. Auch die verschiedenen Informationen zu einem Einsatz werden dort dokumentiert, vom Notruf bis zur Anlandung der geretteten Menschen.
FAQ
Das zentrale Mittelmeer ist zur tödlichsten Migrationsroute der Welt geworden. Seit 2014 sind auf dieser Route mindestens 22.872 Menschen ums Leben gekommen [1]. Im Jahr 2016 starben über 5.000 Menschen bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren [2]. Das sind nur die, von denen wir wissen. Gleichzeitig hat die Europäische Union noch keine gemeinsame Antwort auf die Tragödie im Mittelmeer gefunden. Am 9. Mai 2015 wurde SOS MEDITERRANEE in der Überzeugung gegründet, dass niemand im Mittelmeer ertrinken sollte. Der Mangel an Rettungskapazitäten im Mittelmeer hat eine Gruppe europäischer Bürger und Bürgerinnen, darunter Berufsseeleute und humanitäre Helfer, dazu bewogen, ein eigenes Rettungsschiff zu chartern. So hat SOS MEDITERRANEE zwischen Februar 2016 und Oktober 2018 das Rettungsschiff M/V Aquarius betrieben und 29.523 Menschen geholfen.
Im August 2019 haben wir gemeinsam mit Ärzte ohne Grenzen als medizinischem Partner unsere lebensrettende Mission im Mittelmeer mit unserem neuen Rettungsschiff, der Ocean Viking, wieder aufgenommen. Im Juni 2020, nach dem Ende der Partnerschaft mit Ärzte ohne Grenzen, wurde das neue medizinische Team von SOS MEDITERRANEE betrieben. Im Jahr 2022 ist das International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (IFRC) medizinischer Partner von SOS MEDITERRANEE auf der Ocean Viking geworden.
SOS MEDITERRANEE koordiniert alle Such- und Rettungsaktionen mit den zuständigen Seebehörden und mit anderen Akteuren, die potenziell in der Lage sind, Booten in Seenot vor Ort zu helfen (Schiffe und Seeflugzeuge), wobei die Seebehörden stets über die aktuellen Entwicklungen informiert werden. Die Koordinierungsstellen für die Seenotrettung sind dafür zuständig, festzulegen, mit wem wir bei unseren Rettungsaktionen zusammenarbeiten, ob und wann wir gerettete Personen von anderen Schiffen übernehmen und in welchem Hafen wir sie ausschiffen. Im Jahr 2017 begann das italienische Koordinierungszentrum für die Seenotrettung (IMRCC) damit, die Verantwortung für die Koordinierung von Such- und Rettungsmaßnahmen in internationalen Gewässern an die libysche Küstenwache zu übertragen. Im Juni 2018 wurde eine libysche Such- und Rettungszone in das Register der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation aufgenommen, ebenso wie ein libysches Joint Rescue Coordination Centre (JRCC). Bei den jüngsten Rettungseinsätzen hat SOS MEDITERRANEE einen Mangel an Koordination und Informationsaustausch mit den Seebehörden festgestellt.
Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen [3] vom 10. November 1982 bildet neben anderen internationalen Übereinkommen die Rechtsgrundlage für Rettungseinsätze im Mittelmeer. Artikel 98 (1) besagt Folgendes: "Jeder Staat verpflichtet den Kapitän eines Schiffes unter seiner Flagge, soweit er dies ohne ernste Gefahr für das Schiff, die Besatzung oder die Fahrgäste tun kann, a) jeder Person, die auf See in Gefahr ist, unterzugehen, Hilfe zu leisten".
Seit Beginn ihrer Such- und Rettungseinsätze auf See, patrouilliert SOS MEDITERRANEE im zentralen Mittelmeer in den internationalen Gewässern zwischen Italien und Libyen. Statistisch gesehen befinden sich dort die meisten in Seenot geratenen Boote. Die Rettungen finden außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer (der so genannten 12-Meilen-Zone) statt. Bis zum Sommer 2018 koordinierte das italienische MRCC Rom alle Rettungseinsätze. Jetzt ist Libyen offiziell für die Koordinierung der Rettungseinsätze zuständig. Seit Sommer 2017 haben die Teams von SOS MEDITERRANEE wiederholt beobachtet, wie die libysche Küstenwache Menschen, die über den Seeweg versuchen zu fliehen, in internationalen Gewässern abfängt und sie illegal nach Libyen zurückbringt. Libyen kann nach internationalem Seerecht jedoch nicht als sicherer Ort für die Ausschiffung von Überlebenden gelten.
SOS MEDITERRANEE hat seine Such- und Rettungsaktionen stets in Abstimmung mit den zuständigen Seebehörden durchgeführt und hält sich weiterhin an das geltende Seerecht. Dazu gehört auch die Abstimmung mit der jeweiligen Rettungsleitstelle. Deshalb hat SOS MEDITERRANEE bei den jüngsten Rettungsaktionen die libysche Rettungsleitstelle (Joint Rescue Coordination Centre, JRCC) über den Fortgang der Rettungsaktionen informiert. Die Versuche, das libysche JRCC zu kontaktieren, waren jedoch meist vergeblich. Entweder reagierten die libyschen Behörden gar nicht oder nur mit erheblicher Verzögerung auf die Funksprüche und E-Mails oder sie sprachen kein Englisch - beides Voraussetzungen für eine effektive und zeitnahe Koordination der Rettungen durch die Rettungskoordinationszentren (RCCs).
Bis September 2024 hat SOS MEDITERRANEE mehr als 40.000 Menschen in Notsituationen geholfen.
Die überwiegende Mehrheit der geretteten Menschen verbrachte längere Zeit in Libyen, bevor sie versuchten, das Mittelmeer zu überqueren. An Bord berichten die Überlebenden unseren Teams, dass sie in Libyen direkt oder indirekt Opfer zahlreicher Menschenrechtsverletzungen geworden sind. Gewalt und Ausbeutung sind an der Tagesordnung.
Seit 2023 steigen die Zahlen der Menschen, die aus Tunesien fliehen, stark an. Auch dort sind die Bedingungen unmenschlich, wie die Geretteten berichten.
Wir sammeln und veröffentlichen diese Berichte als "Menschen berichten".
Wenn ein in Seenot geratenes Boot identifiziert wird, begibt sich unser Rettungsschiff zu dessen Standort und beginnt in Abstimmung mit den zuständigen Seebehörden mit den Rettungsmaßnahmen. Das Rettungsteam nähert sich dem in Seenot geratenen Boot mit kleineren Schnellbooten und stellt den Kontakt zu den in Seenot geratenen Personen her. Nachdem alle Schwimmwesten verteilt sind, beginnt das Team, kleinere Gruppen von Menschen an Bord unserer Schnellboote zu nehmen. Medizinische Notfälle werden zuerst evakuiert. Danach folgen Kinder und Frauen und dann die Männer. Unser medizinisches Team sorgt für die medizinische Versorgung und die ersten Schritte des humanitären Schutzes, bis das Schiff einen sicheren Ort erreicht, an dem die Überlebenden an Land gehen können. Hier gibt es ein Video zu den Schritten einer Rettung auf unserem YouTube Kanal: Die 6 Etappen einer Rettung im zentralen Mittelmeer.
Bis Mai 2018 informierte das italienische MRCC unser Schiff über Boote in Seenot, übermittelte uns deren letzte bekannte Position und gab uns Anweisungen für die Suche und Rettung dieser Boote. Seitdem die Verantwortung für die Koordinierung der Suche und Rettung in internationalen Gewässern im zentralen Mittelmeer von Italien auf Libyen übertragen wurde, müssen wir uns bei der Suche nach Booten in Seenot auf unseren eigenen ständigen Ausguck, die Radare an Bord des Rettungsschiffs und anderer ziviler Schiffe und Aufklärungsflugzeuge stützen und gleichzeitig die Seebehörden auf dem Laufenden halten. Wir haben nur sehr wenige bis gar keine Informationen über Boote in Seenot von staatlichen Behörden erhalten. Auf der Grundlage des Seerechts hat SOS MEDITERRANEE seinen Einsatzrahmen wie folgt definiert: "Wenn ein Boot in Seenot identifiziert wird und wenn wir aufgefordert werden, uns von einem Boot in Seenot fernzuhalten oder unser Eingreifen zu verzögern, solange wir Grund zu der Annahme haben, dass die Gefahr unmittelbar bevorsteht, und wenn wir nicht sicher sind, dass alle erforderlichen Mittel rechtzeitig und angemessen eingesetzt werden, werden wir diese Menschen unverzüglich retten, um ihr Leben zu schützen, eine angemessene Notversorgung zu gewährleisten und sie an einen sicheren Ort zu bringen, der den Kriterien der [See-]Übereinkommen entspricht".
Die Aufgabe von SOS MEDITERRANEE ist es, zu retten, zu schützen und zu bezeugen. Seit seinem ersten Einsatz hat sich SOS MEDITERRANEE zum Ziel gesetzt, die Bedürfnisse der Überlebenden nach einer Rettung zu erfüllen. Alle Geretteten erhalten saubere Kleidung und Nahrung. Frauen und Kinder werden in einem separaten Raum, dem so genannten "Shelter", untergebracht.
Unser Schutzauftrag ist die logische Fortsetzung der Grundsätze der "Pflicht zur Hilfeleistung" und der Anforderungen des internationalen Seerechts: Ein Schiff, das eine Rettung durchgeführt hat, stellt eine erste Plattform dar, um sich um die medizinischen Bedürfnisse der Überlebenden zu kümmern, ihre Zeugenaussagen zu sammeln, aber auch, um die besonders gefährdeten Personen wie Überlebende von Folter und unbegleitete Minderjährige zu identifizieren, um sie später bei der Ankunft in den Häfen den Behörden und auf Schutz spezialisierten Organisationen zu melden. Diese Zeugenaussagen werden nur mit dem Einverständnis der Betroffenen und unter Wahrung der Vertraulichkeit gesammelt. Dieser Schutzauftrag ist angesichts des psychologischen und physischen Profils der geretteten Menschen nach Monaten oder Jahren in Libyen von besonderer Bedeutung.
Bis zum Sommer 2018 koordinierte das italienische MRCC die Rettungseinsätze und wies einen sicheren Ort für die Ausschiffung aus. In der Vergangenheit haben sowohl Malta als auch Italien ihre Häfen für zivile Seenotrettungsschiffe verschlossen. Dadurch haben sie geltendes Seerecht ausgesetzt. Dies führte teilweise zu diplomatischen Patt-Situationen, in denen Rettungsschiffe mehrere Tage auf See bleiben mussten, bevor die geretteten Personen an einem sicheren Ort an Land gebracht werden konnten.
Seit Anfang 2023 haben die italienischen Behörden damit begonnen, weit entfernte Häfen zur Ausschiffung der geretteten Personen zuzuweisen. Eine solche Fahrt zu weit entfernten Häfen ist für die geretteten Menschen eine zusätzliche Belastung und verschlechtert oft das körperliche und geistige Wohlbefinden.
Diese Frage geht von der Annahme aus, dass es zulässig ist, Menschen in Not nicht zu retten, um weitere Menschen an der Flucht zu hindern. Wir halten diese Annahme für inhuman und zynisch. Sie widerspricht auch der Pflicht zur Seenotrettung, die durch das internationale Seerecht klar definiert ist.
Mehrere Studien haben eindeutig gezeigt, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Präsenz ziviler Retter und der Zahl der Menschen, die über den Seeweg versuchen zu fliehen, gibt. Die Menschen fliehen aus anderen Gründen als der Anzahl der anwesenden Rettungsschiffe [7] [8]. Weniger Rettungsschiffe führen nicht zu weniger fliehenden Menschen, sondern zu mehr Todesfällen auf der Flucht.
Nein. Nach internationalem Seerecht ist eine Rettung erst dann abgeschlossen, wenn die Überlebenden an einem sicheren Ort ausgeschifft wurden, an dem keine Gefahr für ihr Leben besteht und an dem sie Nahrung, Unterkunft und medizinische Versorgung erhalten können (SOLAS / Kapitel 5 / Regel 33). Diese Kriterien treffen auf Libyen nicht zu. Verschiedene Berichte von Human Rights Watch [4], der UN-Unterstützungsmission in Libyen und dem UN-Menschenrechtsbüro [5] zeigen, dass Migranten und Flüchtlinge in Libyen massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind, darunter willkürliche Inhaftierung, Folter, Zwangsarbeit und sexuelle Ausbeutung. Die Rückführung von Überlebenden nach Libyen würde daher eine Verletzung des internationalen Seerechts und des Grundsatzes der Nichtzurückweisung darstellen. Auch das UN-Flüchtlingshilfswerk vertrat in einer in 2018 veröffentlichten Stellungnahme die Auffassung, dass Libyen "die Kriterien für die Einstufung als sicherer Ort für die Ausschiffung nach einer Rettung auf See nicht erfüllt" [6].
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