Place of Safety - sicherer Ort
Menschen, die aus Seenot gerettet werden, dürfen nur an einem sicheren Ort an Land gebracht werden.
Place of Safety - sicherer Ort
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Menschen, die aus Seenot gerettet werden, dürfen nur an einem sicheren Ort an Land gebracht werden.
Ein Rettungseinsatz gilt nach internationalem Seerecht erst dann als beendet, wenn die Geretteten an einem sicheren Ort (Englisch: “Place of Safety”) an Land gehen können. Ein sicherer Ort ist dabei nicht automatisch der nächstgelegene Hafen: Um die Kriterien eines sicheren Ortes zu erfüllen, muss der Ort der Anlandung einer Reihe rechtlicher Anforderungen genügen. Diese Anforderungen sind im internationalen Seerecht normiert und dienen dem Schutz der Geretteten.
Die zentrale Definition des sicheren Ortes findet sich im Anhang des Internationalen Abkommens über den Such- und Rettungsdienst auf See aus dem Jahr 1979 (SAR-Konvention) [1]: Demnach ist ein sicherer Ort ein Ort, an dem die Rettungsmaßnahmen als beendet gelten. Es ist ein Ort, an dem das Leben der Geretteten nicht mehr bedroht ist und an dem ihre grundlegenden menschlichen Bedürfnisse erfüllt werden können. Dazu gehören zum Beispiel Nahrung, Unterkunft und medizinische Versorgung. Außerdem muss an einem sicheren Ort gewährleistet sein, dass die Überlebenden von dort aus an ihren nächsten oder endgültigen Zielort reisen können [2].
Im Mai 2004 ergänzt die Internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO die Definition mit Blick auf die besonders vulnerable Situation von Schutzsuchenden auf der Flucht: Menschen, die eine begründete Furcht vor Verfolgung geltend machen, dürfen nicht in Gebiete zurückgebracht werden, in denen ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht sein könnte. Ein sicherer Ort ist also auch ein Ort, an dem die Überlebenden vor weiteren Misshandlungen und Folter geschützt werden können [3].
Auch das EU-Recht normiert Qualifikationskriterien für den sicheren Ort: Eine 2014 verabschiedete Verordnung des EU-Parlaments und des Rates über die Überwachung der Seeaußengrenzen legt fest, dass ein Ort nur dann als sicherer Ort gelten kann, wenn dort die Grundrechte der Überlebenden gewahrt werden [4]. Zu diesen Grundrechten gehören explizit auch das Recht auf internationalen Schutz und der Zugang zum Asylverfahren. Dabei muss der völkerrechtliche Grundsatz der Nichtzurückweisung [5] eingehalten werden. Dieser verbietet die Zurückweisung von Schutzsuchenden an der Grenze, wenn die Annahme besteht, dass ihnen im Zielland Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder schwere Menschenrechtsverletzungen drohen, oder wenn ihr Leben dort in Gefahr ist. Gerettete Asylsuchende sollen nach Ankunft an einem sicheren Ort zur Prüfung ihres Asylantrags an die zuständige Asylbehörde verwiesen werden [6].
Im Kontext der humanitären Notlage im zentralen Mittelmeer sind diese Erweiterungen der Definition der SAR-Konvention bedeutungsvoll: Menschen, die auf seeuntauglichen Booten das zentrale Mittelmeer überqueren, fliehen häufig vor Verfolgung und schwersten Menschenrechtsverletzungen. Der gefährliche Seeweg ist für viele der einzige Ausweg aus einer lebensbedrohlichen Situation. Menschen, die auf diesem Wege Richtung Europa aufbrechen, hoffen darauf, die Überfahrt zu überleben und anschließend einen Asylantrag stellen zu können.
SOS MEDITERRANEE, genauso wie andere zivile Seenotrettungsorganisationen, führt immer wieder Rettungen in den internationalen Gewässern vor der libyschen und tunesischen Küste durch. Obwohl die Küsten dieser beiden Staaten nach einer Rettung manchmal schneller anzusteuern wären als die Häfen europäischer Staaten, kann es niemals eine Anlandung von Geretteten in Libyen oder Tunesien geben. Keiner der beiden Staaten erfüllt die rechtlichen Anforderungen an einen sicheren Ort. Sowohl in Libyen [7] als auch in Tunesien [8] drohen Migrant*innen systematische Verfolgung und schwerste Menschenrechtsverletzungen. Es gibt kein funktionierendes Asylsystem. Die Grund- und Menschenrechte von Schutzsuchenden werden nicht gewährleistet.
Staatliche Behörden sind verpflichtet, Rettungseinsätze zu koordinieren, egal ob eine Rettung von einem staatlichen oder einem zivilen Schiff durchgeführt wird. Die Staaten müssen miteinander zusammenarbeiten, um den Überlebenden unter Abwägung aller relevanten Faktoren und Risiken einen geeigneten sicheren Hafen zur Verfügung zu stellen.
[1] SAR-Konvention. Abrufbar unter: https://treaties.un.org/doc/Publication/UNTS/Volume%201405/volume-1405-I-23489-English.pdf
[2] Anhang zur SAR-Konvention, 1.3.2
[3] IMO Resolution MSC.167(78)-2004. Abrufbar unter: https://www.refworld.org/legal/resolution/imo/2004/en/32272
[4] Verordnung (EU) Nr. 656/2014, Art. 2 (12). Abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0656
[5] Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Art. 33. Abrufbar unter: https://www.unhcr.org/wp-content/uploads/sites/27/2017/03/GFK_Pocket_2015_RZ_final_ansicht.pdf
[6] IMO-Circular FAL.3/Circ.194-2009. Abrufbar unter: https://wwwcdn.imo.org/localresources/en/OurWork/Facilitation/FAL%20related%20nonmandatory%20documents/FAL.3-Circ.194.pdf
[7] Amnesty Report: Libyen 2023. Amnesty International. Abrufbar unter: https://amnesty.de/informieren/amnesty-report/libyen-2023#section-23650192
[8] Rechtliche Analyse: Tunesien ist kein sicherer Ort. SOS MEDITERRANEE. Abrufbar unter: https://cdn.prod.website-files.com/667d5de18fe179bce87b2715/66cdca87aab4d3a17a50e43d_SOS%20MEDITERRANEE-2024-juli-Tunesien-ist-kein-sicherer-Ort-Rechtliche-Analyse.pdf
Credits Titelbild: Tara Lambourne / SOS MEDITERRANEE
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