Rassismus, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen entlang der zentralen Mittelmeerroute
Im März 2016 rettete die Aquarius – das ehemalige Rettungsschiff von SOS MEDITERRANEE – erstmals Menschen aus einem seeuntüchtigen Boot im Mittelmeer. Die Überlebenden schilderten die grausamen Zustände in Libyen als „die Hölle“, berichteten von Gewalt, Folter, Versklavung und Morden, die in völliger Straflosigkeit geschahen. Seit 2023 sind auch in Tunesien rassistische Übergriffe und Diskriminierungen, insbesondere gegenüber Menschen aus Subsahara-Afrika, zur traurigen Norm geworden.
Rassismus, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen entlang der zentralen Mittelmeerroute
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Im März 2016 rettete die Aquarius – das ehemalige Rettungsschiff von SOS MEDITERRANEE – erstmals Menschen aus einem seeuntüchtigen Boot im Mittelmeer. Die Überlebenden schilderten die grausamen Zustände in Libyen als „die Hölle“, berichteten von Gewalt, Folter, Versklavung und Morden, die in völliger Straflosigkeit geschahen. Seit 2023 sind auch in Tunesien rassistische Übergriffe und Diskriminierungen, insbesondere gegenüber Menschen aus Subsahara-Afrika, zur traurigen Norm geworden.
Als die Aquarius – das ehemalige Rettungsschiff von SOS MEDITERRANEE – im März 2016 erstmals Menschen aus einem seeuntüchtigen Boot rettete, traf das Rettungsteam auf eine schockierende Realität: Die Überlebenden schilderten Libyen als „die Hölle“. Sie berichteten von Gewalt, Folter, Versklavung und sogar Morden – all das geschehe in völliger Straflosigkeit.
Seit 2023 sind auch in Tunesien rassistische Übergriffe und Diskriminierungen, insbesondere gegenüber Menschen aus Subsahara-Afrika, die Norm.
„Du verschwindest einfach – das war’s.“
Bereits 2017 berichtete Sami*, ein Überlebender, der von der Aquarius gerettet wurde, vom tief verwurzelten Rassismus gegen Schwarze Menschen in Libyen:
„Wenn du in Libyen schwarz bist und dich weigerst zu arbeiten, bringen sie dich an die Küste, erschießen dich und werfen deinen Körper ins Meer. Niemand kümmert sich darum. Niemand weiß, wo du bist. Du bist einfach weg – das war’s.“
Inzwischen habat SOS MEDITERRANEE Hunderte solcher Berichte gesammelt, darunter auch den von Tevez*, der im Juni 2024 gerettet wurde:
„In Libyen arbeitest du wie ein Sklave. Für deinen 'Meister', ohne Bezahlung. Manchmal zahlen sie, meistens nicht. Wenn sie dich holen, dann mit vorgehaltener Waffe. Du darfst dich nicht widersetzen – sonst bringen sie dich um. Damit drohen sie, also musst du gehorchen.“
„Rassistische Übergriffe gegen Migrant*innen nehmen in Libyen zu“
— Volker Türk, UN-Hochkommissar für Menschenrechte
Trotz umfassender Berichte der Vereinten Nationen über die katastrophale Lage für Geflüchtete und Migrant*innen in Libyen hat sich die Situation kaum verbessert. In einem Bericht vom Juni 2024 [1] spricht der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, von einem systemischen Problem. Während sich Hassreden und rassistische Übergriffe häufen – etwa durch Online-Kampagnen, die zur „Vertreibung aller Subsahara-Afrikaner“ aufrufen – wurde im März 2024 im Südwesten Libyens ein Massengrab mit mindestens 65 Leichen entdeckt. Kurz darauf ein weiteres an der Grenze zu Tunesien.
Menschenrechtsverletzungen in Tunesien
Am 4. Oktober 2024 veröffentlichte SOS MEDITERRANEE gemeinsam mit 61 zivilgesellschaftlichen Organisationen eine Erklärung, in der schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Geflüchtete in Tunesien angeprangert werden – besonders gegenüber Menschen aus Subsahara-Afrika.
Auslöser war eine rassistische Rede des tunesischen Präsidenten Kaïs Saïed im Februar 2023, in der er Migrant*innen als Teil eines „kriminellen Plans“ bezeichnete, der die „demografische Zusammensetzung“ Tunesiens verändern solle. Die Folge: Eine Welle der Gewalt gegen afrikanische Studierende und Migrant*innen, zahlreiche Übergriffe, willkürliche Festnahmen – auch von Frauen und Kindern – sowie deren Deportation in die Wüste an der libysch-tunesischen Grenze, oft ohne Wasser oder Nahrung.
Zwischen Juni 2023 und November 2024 wurden laut der UN-Mission in Libyen mindestens 12.010 Menschen auf diese Weise deportiert [2].
Menschenhandel zwischen Tunesien und Libyen – an Land und auf See
Zivilgesellschaftliche Organisationen berichten von „Verkäufen“ von Migrant*innen an bewaffnete Gruppen in Libyen [3]. Auch Überlebende, die von SOS MEDITERRANEE gerettet wurden, berichten, dass sie von tunesischen Sicherheitskräften an libysche Milizen übergeben wurden. Dort landeten sie in Haftzentren, in denen sie geschlagen und misshandelt wurden.
Charly*, aus Westafrika und im Januar 2025 von der Ocean Viking gerettet, beschreibt den Menschenhandel zwischen den beiden Ländern:
„Auf dem Wasser wurden wir von der tunesischen Küstenwache aufgehalten. […] Sie brachten uns nach Sfax, setzten uns auf den Boden und begannen, uns zu schlagen. Dann kamen große Busse, unsere Hände wurden mit Plastikbändern gefesselt. In diesen Bussen – ohne Sitze – mussten wir zehn Stunden am Boden ausharren, gefesselt, geschlagen. Sie sagten, ‚Schwarze‘ hätten in Tunesien nichts verloren. Als wir schließlich in der Wüste ankamen, warteten libysche Fahrzeuge – die Tunesier verkauften uns an die Libyer. […] Diese fordern dann Lösegeld. Wer nicht zahlen kann, kommt ins Gefängnis. Dort foltert man dich und ruft deine Familie an, um Geld zu erpressen.“
Zwei Staaten, von Europa finanziert, um Menschen auf der Flucht abzufangen
Auch auf See ist die Lage dramatisch. 2018 wurde eine libysche Seenotrettungszone (SAR) eingerichtet – in internationalen Gewässern, jedoch unter Verantwortung Libyens. Gleichzeitig begann Europa, die libysche Küstenwache mit Ausrüstung, Ausbildung und Finanzmitteln zu unterstützen – um Boote abzufangen. Dies verstößt gegen internationales Recht.
Seit Juni 2024 besitzt auch Tunesien offiziell eine eigene SAR-Zone und profitiert von europäischen Mitteln im Rahmen der Politik der Externalisierung der Grenzen.
Diese Unterstützung führte zu einem drastischen Anstieg von Abfangaktionen und illegalen Rückführungen: Wurden 2023 noch 29 % der flüchtenden Menschen abgefangen, stieg diese Zahl 2024 auf 45 %. Mindestens 55.205 Personen wurden gezwungen nach Libyen oder Tunesien [4] zurückzukehren – obwohl dort weiterhin Gewalt und Misshandlungen herrschen.
Dabei ist klar im internationalen Seerecht verankert: Aus Seenot gerettete Menschen müssen an einem sicheren Ort angelandet werden – einem Ort, an dem ihre Grundrechte respektiert werden. Libyen und Tunesien erfüllen diese Kriterien nicht.
Viele Überlebende berichten zudem von lebensgefährlichen Methoden während der Abfangaktionen: riskante Manöver, körperliche Gewalt, Entfernung der Motoren, Androhung mit Schusswaffen. Trotz internationaler Verurteilung durch UN-Expert*innen im Oktober 2024 [5] gehen diese Praktiken weiter.
*Namen zum Schutz der Personen geändert.
[1] Volker Türk berichtet, dass Migranten und Flüchtlinge in Libyen immer noch Opfer von eklatantem und weit verbreitetem Missbrauch sind - Arbitrary detentions and impunity widespread in Libya, warns UN’s Türk | UN News
[2] Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (2024), United Nations Support Mission in Libya (S/2024/895), para. 62.
[3] RR [X] (2025), State Trafficking – Expulsion and sale of migrants from Tunisia to Libya – Border Forensics (29. Januar).
[4] Die Interpretation der Daten zu den Abfangaktionen sollte mit Vorsicht angegangen werden, da es noch erhebliche Lücken in Bezug auf die Abfangaktionen vor der tunesischen Küste gibt. Für das Jahr 2023 gibt es erhebliche Diskrepanzen: Document - Migrant and refugee movements through the Central Mediterranean sea- Joint Annual Overview 2023, die IOM und die Global Initiative Against Transnational Organized Crime (GI-TOC) verzeichneten rund 40.000 Aufgriffe, während die tunesische Seewache angab, bis zum Ende des Jahres mehr als 80.000 Personen aufgegriffen zu haben (siehe Alarm Phone, 2024, Interrupted at sea, S. 9). Die Daten für 2024 bleiben unvollständig, da zivilgesellschaftliche Organisationen wie das tunesische Forum für wirtschaftliche und soziale Rechte (FTDES) berichten, dass die tunesischen Behörden im Juni 2024 die Veröffentlichung von Informationen über Abfangaktionen eingestellt haben. Diese Inkonsistenzen erschweren es, die tatsächliche Entwicklung der Abfangmaßnahmen zwischen tatsächlichen Änderungen der Operationen und Schwankungen der Datenverfügbarkeit zu ermitteln. Die in diesem Bericht verwendeten Daten über Abfangaktionen vor der Küste Libyens stammen von IOM Libya.
[5] OHCHR (2024),Tunisia: UN experts concerned over safety of migrants, refugees and victims of trafficking | OHCHR (14. Oktober); siehe auch Alarm Phone (2024), Mer-interrompue-FR.pdf (20. Juni).
Credits Titelbild: Laurin Schmid / SOS MEDITERRANEE
AKTUELLES
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Kriminalisierung humanitärer Hilfe in Libyen

Die libysche Küstenwache eröffnete das Feuer.

Sie filmten wie ich geschlagen wurde und schickten das Video an meine Mutter.
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