Post Rescue – Versorgung an Deck
Julia erzählt von ihren Eindrücken als Teil des Post Rescue Teams an Bord der Ocean Viking. Sie war während der Rettungen Mitte Juli auf der Ocean Viking.
Post Rescue – Versorgung an Deck
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Julia erzählt von ihren Eindrücken als Teil des Post Rescue Teams an Bord der Ocean Viking. Sie war während der Rettungen Mitte Juli auf der Ocean Viking.
Julia ist Referentin für Kommunikation und politische Arbeit bei SOS MEDITERRANEE Deutschland. Während den Rettungen am 17. und 18. Juli arbeitete sie als Teil des Post-Rescue Teams an Bord der Ocean Viking. In ihrem Bericht erzählt sie von ihren Erfahrungen und Eindrücken an Bord und erklärt, wie unmittelbar nach einer Rettung die Erstversorgung der Überlebenden an Deck abläuft.17. Juli, zentrales Mittelmeer
Am ersten Tag im Einsatzgebiet bin ich um Punkt 17 Uhr auf der Brücke der Ocean Viking, um dort meine „Lookout“ -Schicht zu übernehmen. Mit Ferngläsern suchen wir den Horizont nach Booten in Seenot ab. Je nachdem, ob wir von einem Boot in Seenot in unserer Nähe wissen, sind es zwei oder drei Besatzungsmitglieder, die mit den Ferngläsern auf der Brücke stehen. Der Horizont ist etwas diesig, obwohl die Sonne auch am späten Nachmittag noch sehr stark brennt.
Während meiner Schicht kommt die Nachricht: AP Case. AP steht für Alarm Phone, eine NGO, die über eine zentrale Rufnummer Notrufe von Menschen in Seenot entgegennimmt, und diese dann weiterleitet. Auf der Karte wird mit den GPS-Koordinaten die Position des Bootes bestimmt. Die Ocean Viking nimmt direkt Kurs auf das Boot in Seenot. Kurz vor 20:00 wird es gesichtet. Nur wenige Minuten später kommt die Durchsage: „All teams: Ready for rescue, ready for rescue, ready for rescue“. Das Such- und Rettungsteam (SAR-Team) ist zuerst dran, die Rettungsboote (RHIBs) werden zu Wasser gelassen. Ich bleibe als Teil des Post-Rescue-Teams* an Deck zurück. Jetzt heißt es warten. Das SAR-Team gibt eine Einschätzung über das Boot in Seenot weiter, mit Informationen über die Menschen, die gleich an Bord kommen werden. Dann werden Rettungswesten verteilt und die Menschen nach und nach auf die Rettungsboote gebracht. Zwei Besatzungsmitglieder stehen am „Boadlanding“ – der Zone, an der die Menschen die Ocean Viking betreten. Als erstes kommt ein Mann, der einen gebrochenen Fuß hat. Er wird auf einer Trage transportiert und direkt zur Ärztin gebracht. Anschließend geht es relativ schnell. Die andere 37 Menschen kommen einer nach dem anderen die Leiter hoch. Sie haben die Schwimmwesten mit zwei, manchmal drei Doppelknoten verschnürt. Verständlich, wenn man bedenkt, dass sie den Menschen auf dem Boot ein erstes Gefühl der Sicherheit geben.
Mit drei anderen Mitgliedern der Besatzung helfen wir ihnen aus den Schwimmwesten, dann leiten wir sie an das Protection-Team** weiter, welches die Überlebenden registriert. Dabei wird gefragt, ob sie mit Familie unterwegs sind, ob sie Verletzungen haben, die behandelt werden müssen und es wird zwischen Minderjährigen und volljährigen Menschen unterschieden. Die Befragung dient auch dazu, Menschen mit besonderen Schutzbedarfen direkt zu identifizieren. Danach kommen die Geretteten zu mir. Ich gebe jeder Person einen Turnbeutel mit frischer Kleidung, einem Handtuch, einer Zahnbürste, Wasser und einem Energieriegel. Manchmal unterhalten wir uns kurz, aber alles geht recht schnell. Ich erkläre, was in den Turnbeuteln drin ist, mal auf Englisch, mal mit den Händen, denn ich spreche leider kein Arabisch. Zu zweit oder zu dritt werden die Menschen zu den Duschen gebracht. Das Duschen nach der Rettung ist vor allem wichtig, um das Salzwasser-Treibstoff Gemisch von der Haut zu bekommen, das Verbrennungen verursacht. Die Kleidung der Menschen dieser Rettung riecht stark nach Treibstoff. Diese Art von Hautverbrennungen ist eine der häufigsten Verletzungen, die das medizinische Team an Bord behandelt. Der erste Mann, der registriert wurde, kommt schnell wieder vom Duschen zurück. Er fragt mich, ob er mir mit einer Übersetzung helfen darf. Das macht meine Arbeit um einiges einfacher. Ein anderer Überlebender kommt nach der Dusche noch einmal zu mir - ich habe vergessen, die Nummer, die auf seinem Armband steht, auch auf seinen Beutel zu schreiben. Viele der Geretteten nutzen die Beutel, um darin die wenigen persönlichen Gegenstände zu verstauen, die sie nach ihrer Flucht noch haben. Die Nummer ist wichtig, denn damit ist ganz klar, wem welcher Beutel gehört. Mit gespieltem Entsetzen über meinen Fehler schreibe ich ihm schnell die Nummer auf seinen Beutel. Ich hoffe, dass meine Albernheit den ernsten Ausdruck in seinem Gesicht etwas aufweichen kann. Erst guckt er mich etwas erschrocken an, aber dann lachen wir zusammen über meine theatralische Reaktion, auch wenn wir nicht dieselbe Sprache sprechen. Nachdem die Turnbeutel verteilt sind, die Menschen geduscht haben und alle versammelt wurden, gibt es eine kurze Willkommensrede. Ich stehe am Rand und warte darauf, als Teil des Communication Teams vorgestellt zu werden. Zuerst aber wird erklärt, dass wir die Menschen nicht zurück nach Libyen bringen. Dem jungen Mann, der vor mir auf dem Boden sitzt, rollt eine Träne über die Wange. Wir gucken uns kurz an, und er lächelt. Ich bin mir sicher, es war eine Träne der Erleichterung. Wir verteilen Essen und Decken für die Nacht und ich komme mit ein paar Menschen ins Gespräch. Einem von ihnen fallen fast die Augen zu. Er sagt, dies sei die erste Nacht seit vier Monaten, die er ruhig schlafen werde. Wir unterhalten uns am nächsten Morgen noch einmal. Er erzählt, dass es wunderschön war aufzuwachen, weil er genug geschlafen hat, und nicht von Tritten geweckt wurde. Ich kenne diese Art von Geschichten. Ich weiß um die katastrophale Situation in Libyen. Trotzdem wird mir schwer ums Herz.
18. Juli, mitten in der Nacht
Kurz nach Mitternacht lege ich mich in meine Koje. Schlafen kann ich nicht, dazu ist es zu heiß und ich habe noch zu viel Adrenalin im Körper. Eine Stunde später kommt über das Radio die Nachricht, dass wir ein Boot in Seenot suchen, dass sich ganz in unserer Nähe befinden soll. Bei Nacht werden die Boote in Seenot mit speziellen Nachtsichtgeräten gesucht. Zunächst finden wir nichts, auch wenn das Boot in Seenot laut GPS-Koordinaten nicht weit entfernt sein kann. Therese, eine RHIB-Fahrerin des SAR-Teams nutzt einen Scheinwerfer, und leuchtet in den Himmel und auf das Wasser vor uns. Nach ein paar Minuten sehen wir in der Ferne ein blinkendes Licht antworten. Kurz darauf kann mithilfe der Nachtsichtgeräte bestätigt werden, dass es sich um das Boot in Seenot handelt, das wir suchen. Die Durchsage im Radio kommt sofort: “All teams: ready for rescue, ready for rescue, ready for rescue”. Die Vorbereitungen sind dieselben, das Team funktioniert wie eine gut geölte Maschine. Alle wissen, was zu tun ist. An Deck warten und nicht zu wissen, wie es den Menschen geht, ist trotzdem nicht leicht. Wieder evakuiert das SAR-Team die Menschen in Seenot auf die RHIBS, dieses Mal im Dunkeln.
Die Menschen kommen an, wieder helfen wir ihnen aus den Schwimmwesten. Als ich dieses Mal die Turnbeutel verteile, merke ich, dass die Kleidung, die die Menschen tragen, nass ist. Viele haben Verbrennungen durch die Sonne. Ich spreche kein Farsi oder Arabisch, einige der Überlebenden sprechen kein Englisch. Ich rede auf Englisch und behelfe mir mit Handzeichen. Einer der Geretteten muss schmunzeln, als ich es mit meinem gebrochenen Französisch versuche. Was ich sagen möchte, kommt trotzdem rüber. Um drei Uhr falle ich dann erschöpft ins Bett. Am nächsten Morgen geht es um sieben Uhr weiter, es wird Frühstück verteilt.
*Post-Rescue-Team besteht aus allen Menschen, die sich nach der Rettung um die Menschen an Deck kümmern. Dazu gehört das medizinische Team, der Logistiker und das Protection Team**.
**Das Protection Team ist dafür zuständig die Menschen zu registrieren, zu informieren und besonders vulnerable Personen zu identifizieren.
Credits Titelfoto: Claire Juchat / SOS MEDITERRANEE
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