Lange Blockaden auf See: Ein gefährlicher Trend, der zum Sommer hin zu mehr Toten im Mittelmeer führen könnte
Lange Blockaden auf See: Ein gefährlicher Trend, der zum Sommer hin zu mehr Toten im Mittelmeer führen könnte
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SOS MEDITERRANEE fordert europäisches Engagement für einen nachhaltigen Ausschiffungsmechanismus für im zentralen Mittelmeer aus Seenot gerettete Menschen
Beim letzten Einsatz des zivilen Rettungsschiffs Ocean Viking mussten fast 300 Frauen, Kinder und Männer bis zu zehn Tage lang an Bord ausharren und auf Erlaubnis warten, an einem sicheren Ort an Land zu gehen. Diese Episode ist eines von zu vielen Beispielen, wie Überlebende von Schiffbrüchen weiteren Gefahren ausgesetzt werden, während europäische Staaten um eine Lösung zur Anlandung der Geretteten ringen. "In internationalen Seerechtsübereinkommen ist festgelegt, dass die Seebehörden verpflichtet sind, Schiffen nach Rettungen innerhalb einer angemessenen Frist einen sicheren Hafen zuzuweisen. Doch im zentralen Mittelmeer sitzen NGO-Schiffe, die Rettungseinsätze durchführen immer länger mit Überlebenden an Bord auf See fest", sagt Caroline Abu Sa‘Da, Geschäftsführerin von SOS MEDITERRANEE Schweiz.Diese lange Zeit auf See hat verheerende Auswirkungen auf den physischen und psychischen Zustand der Menschen an Bord, die nur knapp dem Tod auf See entkommen sind. In den vergangenen zwei Jahren mussten zahlreiche Gerettete während dieser Wartezeiten aus medizinischen Gründen per Patrouillenschiff oder Hubschrauber von zivilen Rettungsschiffen evakuiert werden, mehrere Überlebende sprangen über Bord.Die Tortur, die die Überlebenden auf der Ocean Viking sowie Hunderte von anderen NGOs geretteter Menschen durchmachen mussten, zeigt, wie dringend notwendig ein vorhersehbarer und nachhaltiger Ausschiffungsmechanismus für aus Seenot gerettete Personen im Mittelmeer ist. Die Einführung eines solchen auf europäischer Solidarität basierenden Mechanismus ist eine der Prioritäten der derzeitigen französischen EU-Ratspräsidentschaft. Einen Monat vor dem Ende des französischen Vorsitzes haben die Verhandlungen jedoch noch zu keinerlei Ergebnissen geführt, während die Situation auf dem Meer alarmierend ist.Wenn dieser beunruhigende Trend anhält, könnte sich die humanitäre Krise im zentralen Mittelmeer in den Sommermonaten erneut zuspitzen, wenn aufgrund besserer Wetterbedingungen mehr Menschen die gefährliche Überfahrt über das zentrale Mittelmeer versuchen.SOS MEDITERRANEE appelliert an alle EU-Mitgliedstaaten und assoziierten Staaten, ihrer rechtlichen und moralischen Verantwortung gerecht zu werden und eine effiziente Koordinierung der Such- und Rettungsmaßnahmen im zentralen Mittelmeer bis hin zur raschen und würdevollen Ausschiffung der Überlebenden zu unterstützen. "Die europäischen Staaten müssen sich auf den kommenden Ratssitzungen auf effiziente Lösungen einigen, um die Einhaltung des Seerechts und die Würde der Überlebenden zu sichern. Aufgrund derart langer Blockaden auf See sind weniger Mittel zur Seenotrettung verfügbar und die Zahl der Toten im Mittelmeer könnte steigen," erklärt Caroline Abu Sa‘Da. "Sollte die Europäische Union nicht in der Lage sein, die im Seerecht festgeschriebenen Pflichten zu wahren, wird sich die humanitäre Notlage im zentralen Mittelmeer in den nächsten Monaten mit hoher Wahrscheinlichkeit noch weiter verschärfen."Rückblick auf den letzten Einsatz der Ocean VikingIm Mai 2022 führten die Teams an Bord der Ocean Viking, einem von der maritimen humanitären Organisation SOS MEDITERRANEE in Partnerschaft mit der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) gecharterten Rettungsschiff, ihren vierten Rettungseinsatz seit Anfang 2022 durch. Zwischen dem 19. und 23. Mai wurden in vier Einsätzen in den libyschen und maltesischen Such- und Rettungszonen 297 Menschen gerettet. Erst am 31. Mai konnten alle Geretteten im Hafen von Pozzallo, Sizilien, an Land gehen. Am 4. Juni lief die Ocean Viking in den Hafen von Marseille ein, wo die Besatzung gewechselt und Wartungsarbeiten am Schiff durchgeführt werden.Zahlen seit Anfang 2022
- 690 Menschen wurden im zentralen Mittelmeer als tot oder vermisst gemeldet [Quelle: IOM Missing Migrants Project, https://missingmigrants.iom.int/region/mediterranean, Stand 07.06.2022].
- 810 Menschen wurden im gesamten Mittelmeer als tot oder vermisst gemeldet (zentrales, östliches und westliches Mittelmeer) [Quelle: IOM Missing Migrants Project, https://missingmigrants.iom.int/region/mediterranean, Stand 07.06.2022].
- 999 Menschen wurden von den Teams auf der Ocean Viking gerettet.
Anzahl der Tage, die Überlebende nach der Rettung durchschnittlich an Bord der Ocean Viking festsaßen, bevor ein Hafen zur Ausschiffung zugewiesen wurde:
- 2022: 8,2 Tage
- 2021: 6,2 Tage
Fotonachweis: Jérémie Lusseau / SOS MEDITERRANEE
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Angelo, Such- und Rettungskoordinator an Bord der Ocean Viking
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