Die humanitäre Lage im Mittelmeer verschärft sich immer weiter. Das Jahr 2023 war eines der tödlichsten seit 2017. Um so wichtiger ist die Präsenz der Ocean Viking und anderer Rettungsschiffe im zentralen Mittelmeer.

Aufgrund der schwierigen Wetterverhältnisse sinkt die Zahl der Rettungsschiffe jeweils über die Wintermonate. Die Ocean Viking ist jedoch so ausgerüstet, dass sie ihre Rettungseinsätze das ganze Jahr durchführen kann. Mit einem 23-köpfigen Team an Bord konnte SOS MEDITERRANEE gemeinsam mit der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) 2023 rund 2299 Menschen aus Seenot retten.  

Hinter dieser Zahl stehen auch die Erfahrungen und Fähigkeiten von 23 Menschen, die zur See fahren. Sie teilen sich in drei Teams auf und werden zusätzlich von Mitarbeitenden der Reederei unterstütz. Jedes dieser Crewmitglieder spielt eine unverzichtbare Rolle an Bord und ermöglicht es den Teams auf unterschiedlichste Situationen zu reagieren. Der Aufbau dieser Teams basiert auf der Analyse von fast 400 Rettungseinsätzen von SOS MEDITERRANEE.

Die Abläufe und Strukturen an Bord der Ocean Viking sind folgendermassen aufgebaut:

Seit Beginn der Einsätze im Jahr 2016 hat SOS MEDITERRANEE ein vielfältiges Team zusammengestellt und dabei mehr als 120 Seenotretter*innen aus 17 verschiedenen Nationen rekrutiert. Die Teams unterteilen sich in das Such- und Rettungsteam, das medizinische Team, und das Kommunikations- und Dokumentationsteam. Obwohl jedes Teammitglied eine bestimmte Position innehat, unterstützt sich das Team gegenseitig und teilt die Aufgabenbereiche auf.

Das Such- und Rettungsteam von SOS MEDITERRANEE

Im Zentrum der Rettungseinsätze von SOS MEDITERRANEE steht das 13-köpfige Such- und Rettungsteam. Es besteht aus hochqualifizierten Fachleuten: der*dem Rettungskoordinator:in, die Fahrer*innen der Schnellboote (RHIBs) und den Rettungsschwimmer*innen. Jedes Teammitglied hat eine spezifische Rolle bei den Rettungseinsätzen. Sie verfügen über ein umfassendes maritimes Fachwissen und arbeiten bei Einsätzen synergetisch zusammen.

1 Rettungskoordinator*in: Diese Schlüsselfigur an Bord der Ocean Viking befindet sich während der Einsätze auf der Brücke des Schiffes. Die*Der Koordinator:in, SarCo genannt, ist von entscheidender Bedeutung für die erfolgreiche Durchführung von Such- und Rettungseinsätzen. Von der Brücke aus empfängt sie*er die Notrufmeldungen, lokalisiert diese auf den Karten und leitet die Rettungsmaßnahmen auf dem Wasser ein. Diese Rolle beinhaltet auch das Empfangen und Abwickeln von Informationen verschiedenster wichtiger Akteure, wie die der maritimen Koordinierungszentren der zuständigen Behörden, anderer Schiffe oder die*den Leiter*innen der verschiedenen Teams an Bord. Die*Der SarCo ist auch für den Einsatz der RHIBs verantwortlich und überwacht jeden Schritt des Rettungseinsatzes, um so eine schnelle, sichere und koordinierte Rettung zu gewährleisten.

1 Stellvertretende*r Rettungskoordinator*in: Die*Der stellvertretende*r Rettungskoordinator*in (Deputy SarCo) unterstützt die*den SarCo bei den Such- und Rettungseinsätzen. Sie*Er ist ebenfalls auf der Brücke positioniert und widmet sich der Optimierung der Kommunikation und der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Teammitgliedern. Die Hauptaufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass jedes Teammitglied seine Aufgaben optimal erfüllen kann, um die Effizienz des Einsatzes zu gewährleisten. Darüber hinaus unterstützt die*der Deputy SarCo das medizinische Team, welches sich um die Abdeckung der Grundbedürfnisse und die medizinische Betreuung der Geretteten kümmert. Diese Vielseitigkeit ist entscheidend für den Erfolg eines Rettungseinsatzes und für die umfassende Betreuung der Geretteten.

„Wir kooperieren und unterstützen uns gegenseitig. Ich denke, das ist es, was den Unterschied ausmachen kann, wenn man mit Situationen konfrontiert ist, die nicht nur stressig, sondern in denen es um Leben und Tod geht.“ Esther – Stellvertretende Rettungskoordinatorin.

11 Seenotretter*innen: Sobald sich die Ocean Viking im Einsatzgebiet befindet, kümmern sie sich vom Bug des Schiffes aus und mit Ferngläsern ausgestattet um eine 180-Grad Überwachung. Wenn ein Boot in Seenot gesichtet wird, werden in kürzester Zeit die drei RHIBs mit ihrer Besatzung zu Wasser gelassen, um den Menschen in Seenot zu Hilfe zu kommen. Bei der Annäherung an das Boot ist eine genaue Lageanalyse, in Absprache mit der*dem SarCo, von entscheidender Bedeutung. Oberste Priorität hat die Sicherheit, erst nach einer Lageeinschätzung werden die nächsten Maßnahmen eingeleitet. Um das Risiko einer Massenpanik zu minimieren wird besonnen und ruhig gehandelt. Es wird Kontakt zu den Personen auf dem Boot in Seenot aufgenommen, Schwimmwesten werden verteilt und die Personen werden einzeln auf die RHIBs überführt.

Die RHIBs, die zwischen dem Boot in Seenot und der Ocean Viking, dem sogenannten „Mutterschiff“ verkehren, sorgen für eine sichere Überführung. Sobald alle geretteten Menschen an Bord der Ocean Viking in Sicherheit sind, wird eine Nachbesprechung abgehalten. Diese dient dazu, den Verlauf des Einsatzes zu analysieren, die gewählten Maßnahmen zu beurteilen und damit zukünftige Einsätze zu optimieren. Nachdem das Rettungsteam seine Hauptaufgabe abgeschlossen hat, unterstütz es anschliessend das Team, welches sich um die Geretteten an Bord kümmert. Gemeinsam betreuen und unterstützen sie jede gerettete Person.  

Das gemeinsame medizinische Team von Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC) und SOS MEDITERRANEEE

Seit August 2021 arbeitet SOS MEDITERRANEE in einer operativen und finanziellen Partnerschaft mit der IFRC zusammen. Sie decken unter anderem die medizinische Versorgung, psychologische Unterstützung, die Verteilung von Nahrungsmitteln, trockener Kleidung, elementare Hygieneartikel und vieles mehr ab. Zudem leistet die IFRC eine unverzichtbare finanzielle Unterstützung für die Rettungseinsätze und stärkt somit die Wirksamkeit und Reichweite unserer Mission.  

In Zusammenarbeit mit dem Personal der IFRC beginnt für das medizinische Team die Arbeit, sobald die Geretteten von der Such- und Rettungsmannschaft an Bord der Ocean Viking, in Sicherheit gebracht wurden. Auf Deck kümmert sich das engagierte Team von sieben bis acht Fachkräften um die Erstversorgung. Dabei steht die Würde der geretteten Menschen an oberster Stelle. Das medizinische Team hat im Jahr 2023 mehr als 1’100 Konsultationen durchgeführt. Die überwiegende Mehrheit der Geretteten lebte über viele Monate unter unmenschlichen Bedingungen ohne Zugang zu medizinsicher Versorgung.

Das medizinische Team an Bord der Ocean Viking setzt sich folgendermaßen zusammen:  

‍1 Leiter*in des medizinischen Teams: Diese Person spielt eine zentrale Rolle bei der Ankunft der Geretteten an Bord und koordiniert die ersten Maßnahmen. Sie behält den Überblick über die verschiedenen Maßnahmen und nimmt aktiv an der medizinischen Versorgung teil. Neben den medizinischen Aufgaben kümmert sich die verantwortliche Person auch um die Abdeckung der Grundbedürfnisse der geretteten Personen wie Wasser und Nahrung und steht dazu in ständigem Dialog mit ihnen.

1 Ärzt*in: Der*Die Ärzt*in an Bord ist für die Durchführung von Diagnosen und die medizinische Versorgung der Geretteten und des Teams zuständig. Die Kompetenz und das Fachwissen des*der Ärzt*in sind entscheidend, um den Gesundheitszustand der geretteten Personen zu beurteilen und die bestmögliche medizinische Versorgung unter diesen Umständen zu gewährleisten.

‍1 Krankenpfleger*in: Ein*e Krankenpfleger*in arbeitet eng mit dem gesamten medizinischen Team zusammen. Ihre*Seine Hauptaufgabe besteht darin, die Überlebenden zu empfangen, die Erstversorgung zu regeln und die erforderliche Erste Hilfe zu leisten. Diese Rolle gewährleistet eine schnelle und wirksame medizinische Versorgung nach Ankunft an Bord der Ocean Viking.

1 Hebamme: Für die geretteten Mädchen und Frauen hat die Hebamme an Bord der Ocean Viking eine überaus wichtige Funktion. Sie bietet nicht nur ein offenes Ohr, sondern kümmert sich um die gynäkologische Versorgung und ist eine wichtige psychologische Unterstützung. Weibliche Gerettete machen etwa 15% der Überlebenden aus. Auf ihrer Reise werden sie oft Opfer von sexueller Gewalt, Versklavung und Lösegeldforderungen. Die Hebamme ist in der Lage auf die besonderen Bedürfnisse einzugehen und bietet erste psychologische Hilfe.

Nach der Überführung und Erstversorgung der Geretteten auf der Ocean Viking, spielen zwei Teammitglieder eine weitere wichtige Rolle für die nächsten Etappen des Rettungseinsatzes:

Schutz- und Begleitungsbeauftragte*r: Die Fachperson ist dafür zuständig, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Die Person bietet psychologische Unterstützung sowie praktische und rechtliche Beratung. Diese Unterstützung ist entscheidend, um die emotionalen und rechtlichen Bedürfnisse der Überlebenden zu erfüllen und so zu einer umfassenden und respektvollen Begleitung beizutragen.

Kulturelle Vermittler*in: Diese Person beteiligt sich während der Rettungsphase aktiv am Dialog und Austausch mit den in Not geratenen Menschen. Sie ist verantwortlich für die Übersetzung von Sicherheitsanweisungen und der Erleichterung der Kommunikation zwischen den verschiedenen Kulturen und Traditionen der geretteten Personen und den Teams an Bord. Diese Funktion ist wichtig für das gegenseitige Verständnis und die respektvolle Interaktion zwischen allen Personen an Bord.

Schließlich ist immer ein*e Logistiker*in an Bord, welche*r dafür sorgt, dass alles Notwendige für die Geretteten und die Teammitglieder zur Verfügung steht. Die Person ist für die Beschaffung, Bestandsverwaltung und Wartung von Materialien, Gütern und Ausrüstungen zuständig, die für Such-, Rettungs- und Pflegemassnahmen benötigt werden. Die*Der Logistiker*in spielt auch eine entscheidende Rolle bei der Vorbereitung von Lebensmittelverteilungen und stellt sicher, dass die Grundbedürfnisse aller an Bord befriedigt werden.

Kommunikations- und Dokumentationsteam

Eine weitere tragende Rolle an Bord kommt dem Kommunikations- und Dokumentationsteam zu. Denn das Erzählen und Festhalten unserer Geschichte, sowie die der geretteten Menschen ist entscheidend, um die Öffentlichkeit an Land zu informieren und sensibilisieren. Zu diesem Zweck befindet sich ein spezialisiertes Kommunikationsteam an Bord, welches sowohl für die interne Kommunikation zwischen den Teams, als auch die Kommunikation nach außen verantwortlich ist. Sie dokumentieren Ereignisse, persönliche Geschichten und den Alltag an Bord der Ocean Viking.  

Kommunikationsverantwortliche an Bord: Insgesamt drei Kommunikationsverantwortliche wechseln sich zwischen dem Festland und dem Dienst auf dem Schiff ab. Ihre Hauptaufgaben bestehen darin, die Aussagen der Überlebenden zu sammeln und von der schwierigen Realität zu berichten, mit der sie konfrontiert sind. Dies ist zentral, um die Öffentlichkeit für die humanitäre Krise auf See zu sensibilisieren und die Bedeutung und Notwendigkeit unserer Rettungsmission zu verdeutlichen.

1 Fotograf*in / Videograf*in (optional): Diese Rolle hält die Such- und Rettungseinsätze, die Arbeit der Teams, die Hilfe für die geretteten Menschen und ihren Alltag an Bord bis zu ihrer Ausschiffung fest. Bilder und Videos spielen eine entscheidende Rolle bei der Kommunikation unserer Arbeit, sie verbildlichen Rettungseinsätze und die Realität der Geretteten.  

Weitere 10 bis 11 Personen sind an Bord der Ocean Viking, obwohl sie nicht direkt bei SOS MEDITERRANEE oder der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften angestellt sind:  

Unabhängige Journalist*innen (1-2): Bei jedem Einsatz werden ein oder zwei Journalist*innen von unabhängigen internationalen Medien an Bord genommen. Sie haben vollständigen und transparenten Zugang zu unseren Einsätzen sowie den Teams von SOS MEDITERRANEE und der IFRC. Dies ist entscheidend, um eine unparteiische und objektive Berichterstattung über die Ereignisse im zentralen Mittelmeer, das Schicksal der geretteten Menschen und die humanitären Bemühungen unserer Teams zu gewährleisten.

Maritime Schiffsbesatzung der Reederei der Ocean Viking (9 Mitglieder)

Zu der Schiffscrew gehören Mechaniker*innen, Ingenieur*innen, Köch*innen und auch der*die Kapitän*in. Sie sind für die Steuerung und Wartung des Schiffes verantwortlich und sorgen dafür, dass alle Vorgänge an Bord sicher und effizient ablaufen. Ihr Fachwissen ist für den reibungslosen Betrieb unseres Schiffes und den Erfolg unserer Rettungsmissionen unerlässlich.