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Fotograf Jérémie beschreibt schwierige Rettung.

1
April
2022

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Fotograf Jérémie beschreibt schwierige Rettung.

1
April
2022

Heimatland

Rettungsdatum

Alter

Am Freitag, den 25. März 2022, führte unser Team eine schwierige Rettung durch, bei der sie 130 Menschen sicher an Bord der Ocean Viking bringen konnte. Jérémie beschrieb diesen Einsatz. Er ist freiberuflicher Fotograf und war 2021 zum ersten Mal an Bord der Ocean Viking. Im Februar 2022 schloss er sich dem Kommunikationsteam von SOS MEDITERRANEE an, um weiterhin die humanitäre Krise im zentralen Mittelmeer zu dokumentieren. Um 13:14 Uhr erhält die Ocean Viking eine E-Mail von Alarm Phone*, in der ein Boot in internationalen Gewässern vor Libyen in Seenot gemeldet wird, und ändert den Kurs in dessen Richtung. Ich lege meine Ausrüstung und Kameras bereit, um an Bord unserer Rettungsboote (RHIBs) gehen zu können. Neben mir bereiten sich die Kolleg*innen der Rettungscrew vor. Jede ihrer Bewegungen scheint sicher und präzise einstudiert. Es gibt keinen Raum für Zufall oder Zögern in einer Vorbereitung, die viele Male im Training und unter realen Bedingungen geprobt wurde. Um 14:27 Uhr wird von der Brücke aus das in Seenot geratene Boot mit einem Fernglas gesichtet und gleichzeitig ertönt das Kommando unsere Rettungsboote ins Wasser zu lassen. Ich nehme zwischen meinen Teamkolleg*innen auf dem Schnellboot Easy 2 Platz. Zu Beginn jeder Rettung, die ich bisher fotografiert habe, habe ich grossen Respekt und Angst vor dem, was uns möglicherweise bevorstehen könnte. Ich merke schnell, dass diese Rettung anders ist als die, die ich bisher erlebt habe. Die Sonne, die uns begleitet, ist trügerisch, der Wind stark, die Wellen hoch. Mit einer Höhe von zwei bis drei Metern prallen sie gegen die Seiten unseres Rettungsbootes und treiben uns an, während wir mit Höchstgeschwindigkeit auf das in Not geratene Boot zusteuern. Etwa zwanzig Minuten nachdem wir von der Ocean Viking losgefahren sind, taucht ein grosses Schlauchboot vor uns auf. An Bord befinden sich etwa hundert Menschen. Seine Form hebt sich als Silhouette vom Horizont ab, ich erkenne Dutzende von erhobenen Armen, die aus dem Boot ragen und Schläuche, die als Schwimmhilfen dienen, jedoch keineswegs Schutz bieten. Wie bei jeder Rettung, kann ich kaum glauben, was ich sehe. Ich weiss, dass es diese unsicheren, seeuntüchtigen Boote mit Hunderten von Menschen an Bord gibt, auf denen Menschen ihr Leben riskieren, um die Hölle zu verlassen. Aber sie mit eigenen Augen zu sehen, schockiert mich jedes Mal.

Das Boot ist überladen und liegt extrem tief im Wasser. Es sieht so zerbrechlich aus, da die wachsenden Wellen unerbittlich dagegen schlagen und dieses jeden Moment mit Wasser vollzulaufen droht. Jede Sekunde zählt. Der Wind, der ohnehin schon stark ist, nimmt weiter zu und erreicht 30 Knoten. Unser Rettungsboot schwankt stark hin und her, während wir Schwimmwesten an die Menschen an Bord verteilen. Ich fotografiere so gut ich kann, um die Rettung zu dokumentieren. Dann lasse ich aber schnell meine Kameras fallen, um der Besatzung dabei zu helfen, die Menschen in unser Rettungsboot zu überführen. Das sich verschlechternde Wetter macht das Manövrieren sehr schwierig. Aufgrund des Windes sind die Funkgeräte kaum hörbar; wir müssen schreien, um zu kommunizieren. Die gegen uns brechenden Wellen lassen uns taumeln, während die Gischt unsere Ausrüstung bedeckt. Die Gesichter der Besatzung sind angespannt und konzentriert. Die Menschen, denen wir auf die Easy 2 helfen, sind erschöpft und frieren. Einige brechen auf dem Deck buchstäblich vor Erschöpfung zusammen. Die drei Rettungsboote fahren mehrmals zwischen dem Boot in Seenot und der Ocean Viking hin und her, um die Menschen in Sicherheit zu bringen. Mehrere Stunden lang dauert diese Evakuierung auf das Rettungsschiff. Die Frauen, Männer und Kinder sind erschöpft von den 12 Stunden, die sie an Bord dieses Schlauchbootes verbracht haben. Um 17.05 Uhr sind die 130 Überlebenden endlich alle zusammen mit den 30 am Vortag geretteten Menschen an Deck der Ocean Viking, wo sie vom medizinischen Team betreut werden. Wir kehren zum Schlauchboot zurück. An Deck treiben die von den Überlebenden zurückgelassenen Gegenstände in einer trüben Mischung aus Wasser und Treibstoff. Inmitten eines Haufens von Kleidung, Benzinkanistern, Schuhen und Schläuchen liegen die Leichen von zwei Männern, die halb untergetaucht sind. Zwei Männer, für die wir nichts weiter tun können, als zu versuchen, ihre Leichen zu bergen, damit sie in Würde von Bord gebracht und beerdigt werden können. Nachdem sich unsere Teams mehrere Stunden lang bemüht haben, ist es aufgrund der extremen Wetterbedingungen nur möglich, eine der beiden Leichen zu bergen. Die Erzählungen einiger Überlebender bestätigen, dass diese beiden Menschen bereits vor Beginn der Rettung ums Leben gekommen sind. Zwei weitere Menschen haben sich in die endlose Liste der Toten auf See eingereiht. Zwei weitere von Zehntausenden, die im Mittelmeer ihr Leben verloren haben... An diesem Abend gingen mir widersprüchliche Gefühle durch den Kopf. Auf der einen Seite die grosse Erleichterung darüber, dass 130 Menschen in Sicherheit gebracht werden konnten. Andererseits die ebenso grosse Traurigkeit darüber, dass es nicht 132 sind. Ich habe den Geschmack von Salz auf den Lippen und Bitterkeit im Mund. Ihre Namen waren Selif und Mascad. *** Fotonachweise: Jérémie Lusseau / SOS MEDITERRANEE

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